Betr.: Mein Zahnarzt wandert aus. An: Friedrich Merz

Mein Zahnarzt hat mir eröffnet, wegen des politischen Klimas das Land zu verlassen. Das hat mich stark getroffen. Und ich musste mich an diese ironische Aussage von Merz zu den Flüchtlingen und Zahnarztterminen erinnern. Ob ich jemals eine Antwort erhalten werde? Wahrscheinlich nicht.

Mir hat mein Zahnarzt dann übrigens erklärt, dass die Flüchtlinge extra-budgetär abgerechnet werden (ähnlich wie Privatpatienten) und daher wirklich schneller Termine bekommen als Kassenpatienten. Trotzdem: Ein top ausgebildeter Akademiker verlässt das Land wegen des rassistischen Klimas. Wollen wir das wirklich?

 

"Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine."

F. Merz, 09/2023

Montag, 15.09.2025
Guten Tag Herr Merz,

diese Aussage Ihrerseits ist leider ziemlich schlecht gealtert. Wissen Sie warum? Ich war just heute beim Zahnarzt, zum Abschluss meiner ersten Wurzelkanalbehandlung. Scherzhaft sagte ich: "Ich hoffe, dass das meine erste und letzte Behandlung war." Daraufhin erwiderte mein Zahnarzt: "Zumindest war das Ihre letzte bei mir. Ich verlasse im Dezember das Land."

Mein Zahnarzt ist Dr. [X]. Er ist seit 30 Jahren in Deutschland tätig und seit 15 Jahren betreibt er eine eigene Praxis. Und er ist sehr gut, er hat mich vor der Kiefer-OP bewahrt. Jetzt geht er zurück [in sein Heimatland]. Er sagt ganz offen, das liege am Rassismus. Er wolle nicht warten, bis die AfD noch stärker sei.

Herr Merz, ich möchte Ihnen jetzt nicht erklären, welche rassistischen Erfahrungen konkret mein Zahnarzt gemacht hat. Es geht mir um das "bigger picture": Finden Sie es nicht auch ironisch, dass die deutschen Bürger keine Termine mehr bekommen, weil der ausländische Zahnarzt sich durch die politische Lage dazu gezwungen sieht, das Land zu verlassen? 

Aber natürlich. Mein Zahnarzt verlässt das Land wegen der AfD, nicht wegen der CDU. Man fragt sich heutzutage jedoch immer häufiger, worin denn der Unterschied zwischen diesen beiden Parteien besteht. Ihre Partei legitimiert durch ausländerfeindliche Aussagen (wie die oben zitierte Ihrige) den extremen Kurs der AfD. Kennen Sie das Konzept der issue ownership? Die Ökopolitik wird immer den Grünen attribuiert werden, denn denen gehört das "Öko-Thema". Und "Ausländer raus" wird immer der AfD attribuiert werden, der gehört das "Ausländer-raus-Thema". Die CDU muss aufhören AfD Forderungen wiederzukäuen. Herr Merz, Sie werden die verlorenen Schäfchen nie wieder zurück gewinnen. 

Deutschland braucht Ausländer. Wenn die Boomer in Rente gehen, wenn Sie, Herr Merz, in Rente gehen, dann fehlen uns Arbeitskräfte. Und wenn ich mit Anfang 30 dann auch noch Kinder bekomme, um den Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt zu sichern, dann bin ich erstmal in Elternzeit, dann fehlen uns auch diese Arbeitskräfte. Wir brauchen Zuwanderung, um wegfallende Arbeitskräfte in allen Bereichen zu ersetzen. Um die fehlenden Einzahlungen in die Rentenkasse zu kompensieren.

Wenn Sie den Flüchtlingen eine Genehmigungsfiktion ausstellen würden, sodass diese sofort, ohne lange Wartezeit, ohne bürokratische Hürden durch die Ausländerbehörde, in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten, dann würden alle diese Menschen plötzlich auch keine Sozialleistungen mehr beziehen - sondern Sozialversicherungsbeiträge zahlen. So wie mein Zahnarzt. Der zahlt nämlich so circa 300.000 EUR Steuern im Jahr. Und dafür, dass er so viel Geld zahlt, tut die Politik erstaunlich wenig für Ihn, sagt er. Das glaube ich ihm. Er hat erzählt, dass auf dem Schulhof niemand mit seinen Kindern spielt, weil sie "braun" sind. Da frage ich mich: Wer ist hier wirklich braun? Die Kinder? Oder das politische Klima?

Aber ich kann aufatmen. Es wird ein zahnärztlicher Kollege die Praxis übernehmen. Sollte ich also noch einmal Zahnschmerzen haben, bin ich zumindest in sicheren Händen.
Der Kollege ist übrigens Ausländer.

Mit freundlichen Grüßen

Sophia
Assistenzärztin

PS: Ich arbeite [in unserer Abteilung] zusammen mit 22 anderen Assistenzärzten in einem ziemlich normalen Krankenhaus. Von uns 23 Kollegen sind 15 Ärzte selbst immigriert oder haben eingewanderte Eltern. Das sind circa 65 Prozent. Man will sich nicht vorstellen, was passiert, wenn die das Land verlassen. Dann können wir unsere [Abteilung] schließen. 
Ihre Politik vertreibt nicht die armen, mittellosen Ausländer. Gehen werden die, die sich das Auswandern finanziell leisten können. Und genau diesen Verlust können wir uns als Gesellschaft eben nicht leisten.

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